Redenauszüge Trauer
Gerne gebe ich Euch Einblick in einzelne Passagen meiner Texte.
Die Nutzung ist erlaubt, allerdings nur unter Verwendung des Urheberverweises:
@charlotteredet.de
Marianne
(...) Die Plätze im Zuschauerraum sind inzwischen alle gefüllt und das Licht im Saal wird abgedunkelt. Die Scheinwerfer auf der Bühne gehen an. Plötzlich ertönt ein lautes Knattern und Marianne fährt mit ihrem Roller auf die Bühne. Fast hätten wir sie nicht erkannt, denn statt eines Helms trägt sie eine Perücke über der modischen Kurzhaarfrisur. Sie steht auf der Bühne, fast ein wenig verlegen im Rampenlicht. Aber den Applaus, der
ihr nun entgegenschlägt, den genießt sie ganz offenbar.
Und auch hier merken wir, dass wir wohl etwas genauer hinsehen müssen. Marianne Kohler war keinesfalls eine Rampensau. Eigentlich hasste sie es, Aufsehen zu erregen oder Umstände zu verursachen. Aber sie legte Wert darauf, wahrgenommen zu werden. Und vor allem – und auch das verrät uns erst der zweite Blick: Sie wollte gerne teilhaben am Leben der Menschen, die sie liebte. (...)
Frank
(…) Es gibt im Motorsport aber auch eine schwarze Flagge mit orangenem Kreis, die relativ selten gezeigt wird, und zwar in Verbindung mit einer Startnummer. Dies bedeutet, dass der betroffene Fahrer sofort an die Box fahren muss, da man an seinem Fahrzeug einen technischen Defekt vermutet. Erst wenn die Gefahr beseitigt ist, darf der Fahrer das Rennen
fortsetzen.
Genau diese Flagge wird Frank zwischen der 50. und der 55. Runde mehrfach gezeigt. Aber er ignoriert sie. Als ihm seine Teamkollegen über Funk sagen, dass er an die Box kommen soll, sagt er nur: „Ich mach’s, aber jetzt wart‘ doch!“
Danach werden Franks Rundenzeiten immer schlechter. Die Pole Position hat er schon lange nicht mehr inne, er hält sich nur noch mühsam im Mittelfeld. In der 57. Runde liegt er auf dem letzten Platz, fährt aber trotzdem tapfer weiter. Wir hören, wie ihn das Team über Funk nachdrücklich auffordert, jetzt endlich anzuhalten und sich durchchecken zu lassen. Frank entgegnet über das Teamradio nur: „Es ist mein Leben!“
Kurz vor dem Ende der 58. Runde muss Frank das Rennen seines Lebens aufgeben…. (…)
Matteo
(...) Wir blättern noch ein paar Seiten in Matteos Lebens-Scrap-Book weiter und finden eine Doppelseite mit einer schwarz-weißen Weltkarte. Auf dieser Karte sind einige Länder bunt angemalt: Irland, Australien, die USA, Singapur, Italien und viele mehr. Matteo reiste, als er noch gesund war, gerne und viel. Er war neugierig auf andere Kulturen und offen für andere Weltanschauungen und Menschen. Mitten im Pazifik sehen wir eine Liste mit der Überschrift: Reiselektüre. Auf dieser befinden sich sämtliche traditionellen und modernen Klassiker, wie eine Bucket-List. So als wolle jemand diese noch lesen. Aber bei genauerem Hinsehen ist hinter fast jedem Titel auf der Liste schon ein Häkchen gesetzt. (...)
Anna
(…) Annas Element war das Wasser. Daher möchte ich Sie jetzt alle gerne auf einen gedanklichen Strandspaziergang mitnehmen. Schließen Sie doch bitte mal alle für einen Moment die Augen. Wir sind am Meer, irgendwo im Süden. Die Sonne scheint und wärmt unsere Haut. Es riecht nach Salz und Seetang. Die Wellen rauschen und wir spüren den warmen Sand zwischen unseren nackten Zehen. Wir laufen los und schauen uns am Strand einmal um.
Unser Blick fällt auf einen kleinen Jungen, vielleicht so zweieinhalb Jahre alt, der weinend am Wasser steht. Seine Mutter, die offenbar bald das nächste Kind erwartet, kommt zu ihm, tröstet ihn, und zeigt weit hinaus auf das Meer.
Annas erster Sohn Michael war zweieinhalb, als er an einer schweren Hirnhautentzündung erkrankte und schließlich auch daran starb. Zum Glück war Anna zu diesem Zeitpunkt bereits mit Ihnen, liebe Astrid, schwanger und ein Jahr später kamen dann Sie, lieber Klaus, auf die Welt. Dennoch hat der Verlust ihres ältesten Kindes Anna ihr ganzes Leben lang begleitet. (…)
Manfred
(…) Manfreds Lebenssekretär – sein Lebensmöbel – stelle ich mir aus einfachem Holz und sehr geradlinig im Design vor. Ohne Schnörkel oder irgendwelchen Schnickschnack. Ruhig und schwer steht er da. Er gehört genau an den Platz, an dem er steht. Die Klappe in der Mitte ist fest verschlossen, der Schlüssel nirgendwo zu sehen.
Wenn wir aber genauer hinschauen merken wir, dass die Tür im linken Bein des Sekretärs nur angelehnt ist. Außerdem fällt uns jetzt auf, dass sie Spuren von Bunt- und Wachsmalstiften hat. Wir nähern uns, ziehen die Tür vorsichtig ein Stück weit auf und hören wie aus der Ferne fröhliches Kinderlachen. Wir machen die Tür ganz auf und ein kunterbunter Haufen Spielzeug fällt heraus.
Ja - das erste was Ihnen bei der Beschreibung von Manfreds Wesen in den Sinn kam, waren die Worte Familienmensch und Kindermensch. Er war großzügig, hilfsbereit, ein guter Zuhörer, humorvoll, hat gerne gelacht und immer gerne geteilt. Für zwei Generationen in Ihrer Familie war er der gute Onkel im Hintergrund. Zuerst für Marion, Wolfgang und Martina. Und später dann auch für Euch – Jan, Luisa und Dennis. Ihr habt mit ihm gespielt, er hat sich Sachen für Euch ausgedacht und er war immer für Euch da. Er war einfach ein toller Onkel, Euer guter Geist, das Herz der Familie. Und genau deshalb fehlt er jetzt so. (…)
Elvira
(...) Wir schlagen die Seite um und kommen zum nächsten Kapitel. Die Schrift im Buch wird grün und Blätterranken zieren die Seitenränder. Wir nehmen einen würzigen Duft wahr und einen Hauch von Wald.
Natürlich, das war Elvira zweite große Leidenschaft: Wandern und dabei Pilze suchen. Wussten Sie, dass es in Deutschland über 9000 verschiedene Arten Pilze gibt? 150 davon sind giftig, man muss sich also gut auskennen. Und Elvira kannte sich aus. Was hat sie Sie nicht alle mit Pilzen beschenkt und bekocht! Steinpilze, Pfifferlinge, wilder Täubling, Champignons oder Hallimasch – alles was die Wälder am Stromberg so hergeben, landete in ihrem Kochtopf und dann auf Ihrem Tisch. Sie haben das in unserem Gespräch so schön gesagt: „Was diese Seite von Elvira anging brauchte man viel Vertrauen und eine große Tiefkühltruhe.“ (...)